Hassan Maarfi Poor (Pour) Der Artikel im Word könnt ihr hier herunterladen: In diesem Artikel habe ich viele Sachen von anderen Schriften genommen, die ich gleichzeitig oder davor geschrieben habe. Hassan Maarfi Pour
Hassan.maarfipoor@gmail.com
Inhalt
- Einleitung. 1
- Die Problematik beim Praktikum im PHV Heidelberg. 3
- Überwachung als ein Mittel zur Verhinderung der Selbstpolitisierung der Geflüchteten. 6
- Repressive Hilfe gegen die Selbstpolitisierung der Geflüchteten. 8
- Die Selbstpolitisierung der Geflüchteten und deren Kampf mit antifaschistischen Initiativen in Heidelberg 10
- Fazit. 14
6.1. Kurze persönliche Anmerkung. 14
1. Einleitung
Die Politisierung der Geflüchteten ist ein irreführender und unzutreffender Ausdruck, weil die Geflüchteten als „Objekt“ betrachtet werden. Oft häre ich diesen Ausdruck von deutschen Aktivist*innen und politischen Gruppen. Geflüchtete Menschen sind aber keine Objekte, die von anderen Menschen politisiert werden. Jeder Mensch in der Gesellschaft ist automatisch ein politischer Mensch, weil jedes Verhalten politisch ist und durch die Politik bestimmt wird. Das politische Engagement der Menschen ist unterschiedlich, aber alle sind auf verschiedene Arten politisiert. Auch die Gleichgültigkeit der Menschen in der Gesellschaft muss als eine Art der Politisierung verstanden werden, die die Menschen von der aktiven Teilhabe und Teilnahme in der politischen Arbeit entfernt. Diese Form der Politisierung ist mit dem Nihilismus, der Hoffnungslosigkeit, dem Postmodernismus, Neoliberalismus, „Alternativlosigkeit“, etc. verbunden, die Menschen immer wieder über die politische Arbeit für die Veränderung der Verhältnisse täuschen und darzustellen versuchen, dass es keine Veränderung geben kann und keine Alternative existiert. Diese erwähnten Ideologien sind die Ideen, die von den Herrschenden produziert und reproduziert werden, damit die Herrschaft des Systems und die Macht des Kapitalismus über die Unterdrückten geschützt wird. Für die politische Teilnahme und Teilhabe der Geflüchteten in Deutschland und im Patrick-Henry-Village (PHV), der Unterkunft, in der ich seit der Wiedereröffnung als Asylunterkunft als Übersetzer und Begleiter Geflüchteter arbeite, gibt es verschiedene Hindernisse und Probleme, mit denen sich jede Person auseinandersetzen muss, die sich mit dem Thema beschäftigen will. Erstens verstehen die meisten der Geflüchteten kein Deutsch. Zweitens leben sie dort in der Isolation. Drittens erleben sie täglich unterschiedliche Arten der Repression wie beispielsweise Überwachung, Kontrolle durch die Security und Polizei, verbale Beleidigungen, Rassismus und Ausgrenzung, Verdächtigungen ohne Grund usw. Die staatliche Gewalt wird durch die Institutionen durchgesetzt, die die Menschen ablehnen und abschieben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das Regierungspräsidium, die Polizei und insgesamt der Staatsapparat arbeiten zusammen an der Unterdrückung der Geflüchteten. Andere Akteure wie Office 1 und Office 2 (zuständig für die Ausgabe von Essen und Waschmittel), Kleiderkammer, Kirche, Krankenhaus, Deutsche Rotes Kreuz, Diakonie, Caritas, Schule, Kindergarten etc. versuchen unterschiedliche Arten der „repressiven Hilfe“ und Macht auf die Flüchtlinge auszuüben. Die kolonialistische Ideologie, die wir hier in Europa unter dem Namen „Eurozentrismus“, „Leitkultur“, „christliche Werte“ usw. erleben, hat seine Geschichte. Die Geschichte des Kolonialismus und Imperialismus ist sehr stark mit den Missionaren verbunden. Die Kolonialherren, die in dem Zeitalter der Piraterie und Seefahrerei andere Länder eroberten, hatten immer ihr Kreuz und ihre Bibel in der Hand. Die Hilfsorganisationen, die Kirchen, die Krankenhäuser usw. versuchen diese kolonialistische Ideologie, „christliche Werte“, die „Leitkultur“ unter dem Begriff „Integration“ und im Grunde „Assimilation“ direkt oder indirekt zu reproduzieren.
Ich kam selbst im Oktober 2010 als Flüchtling nach Deutschland. Nach drei Jahren Exil im Nordirak musste ich auch diesen aus politischen Gründen verlassen und in ein anderes Land auswandern. Meine Ex-Freundin und ich waren beide überzeugte Marxist*innen, die weder die Autorität der iranischen Regierung noch den Nationalismus im Nordirak und politische Verfolgungen aushalten und akzeptieren konnten. Deshalb mussten wir außerhalb der Region leben, um überleben zu können. Wir waren in der „Heimat“ nicht nur politisiert, sondern haben die Gesellschaft durch politische Aktionen und Demonstrationen politisiert. Wir sind ein Beispiel von hunderttausenden Fällen, die gezwungen sind auszuwandern. Warum muss ich von anderen politisiert werden, wenn ich selber politisiert bin? Ich brauche nur die Sprache, um mich den politisch-aktiven Menschen anzuschließen. Ab dem ersten Monat meiner Flucht nach Deutschland organisierten wir gegen die Marginalisierung der Geflüchteten einen Hungerstreik in der Unterkunft in Malmsheim in der Nähe der Stadt Reingingen (Landkreis Böblingen) im Bundesland Baden-Württemberg und bekamen und akzeptierten eine Woche lang weder Geld noch Essen vom Staat. Wir hatten in dieser Zeit ganz klare Forderungen wie die Beendung der Isolation, die Abschaffung der Marginalisierung der Geflüchteten, das Recht auf einen Deutschkurs für alle, das Recht auf ein Leben in einer Stadt ohne Ausgrenzung von der Gesellschaft etc. Dieser Protest wurden von Geflüchteten organisiert und niemand hat uns politisiert. Aus diesen Gründen kann ich den Begriff der „Politisierung der Geflüchteten“ nicht akzeptieren.
In diesem Bericht wird von der Problematik bei dem Praktikum berichtet, mit der ich während meines Praktikums und ehrenamtlicher Arbeit mit Geflüchteten konfrontiert sah. Danach wird ausführlich dargestellt, wie sich Geflüchtete trotz tausender Schwierigkeiten in der Region für ihre Rechte engagierten und versuchten ihre Rechte zu erlangen. Am Ende der Arbeit wird von der ehrenamtlichen humanitären Arbeit von Studierenden der Universität Heidelberg und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg gesprochen, die ihre eigene Aktivität nicht als politisch verstehen. Es wird auch von der gemeinsamen Arbeit mit antifaschistischen Aktivisten*innen gesprochen und am Ende wird die Arbeit zusammengefasst.
2. Die Problematik beim Praktikum im PHV Heidelberg
Flüchtlinge kommen aus verschiedenen Ländern und besitzen unterschiedliche Merkmale, die meistens Konstrukte sind. Sie sind eine heterogene Gruppe verschiedener Menschen, die zu unterschiedlichen „Ethnien“, „Nationalitäten“ „Bevölkerungsgruppen“, „Geschlechtern“, religiösen und nicht religiösen Gruppen, Klassen im „Heimatland“ gehören. Aufgrund dieser Vielfalt kann man nicht von einer „ethnografischen“ Forschung oder einem „ethnografischen“ Praktikum sprechen, da „Ethnografie“ eine bestimmte „Ethnie“ untersuchen soll. Wenn ich auch ethnografische Forschung machen möchte und meinen Fokus auf eine bestimmte „Ethnie“ setzen möchte, zum Beispiel Iraner*innen, habe ich trotzdem die gleichen Schwierigkeiten. Unter Iraner*innen gibt es unterschiedliche „Ethnien“ und andere Zugehörigkeiten, die die „ethnologische oder ethnografische“ Forschung verhindern. Aus diesem Grund kann ich nicht von der „ethnografischen“ Feldforschung sprechen, sondern muss von der Forschung über Geflüchtete reden, die tausende Unterschiede, aber alle das gleiche Interesse haben. Die erwähnten Unterschiede sind teilweise Konstrukte, die von der Gesellschaft und von der herrschenden Klasse entwickelt werden, um bestimmte Menschen auszugrenzen. Begriffe wie „Nationalität“, „Rasse“, teilweise „Geschlecht“ sind solche Konstrukte.
Das zweite Problem ist die psychische Lage der Geflüchteten. Die Mehrheit der Geflüchteten leidet in PHV unter starken Depressionen und hat sehr schwere traumatisierende Situationen erlebt. Aus diesem Grund ist der Zugang zu Geflüchteten teilweise sehr schwer. Für mich als eine Person mit Flüchtlingshintergrund und als Übersetzer für Flüchtlinge sowie als eine Person, die ihr ganzes Leben für den Kampf und die Unterstützung der Unterdrückten und in den letzten vier Jahren sehr speziell für die Geflüchteten investiert hat und viele politische und persönliche Kontakt zu Flüchtlingen hat, ist diese Schwierigkeit verringert. Was mich aber während meiner Forschung stark gestört und auch emotional belastet hat, war die psychische Situation der Geflüchteten. Obwohl ich bereits vor sechs Jahren als Flüchtling anerkannt wurde, keinen Flüchtlingsstatus mehr habe und nicht in der Unterkunft der Geflüchteten lebe, identifiziere ich mich mit dieser „Identität“ und kann mich nicht aus diesem Status lösen. Auch wenn ich bis zum Ende des Lebens unterschiedliche Status in Deutschland haben werde, werde ich mich als Flüchtling bezeichnen. Deshalb konnte ich bei den Treffen mit Geflüchteten meine Emotionen nicht kontrollieren und habe oft angefangen zu weinen, als ich ihre traumatischen Geschichten gehörte habe. Ich habe mehr oder weniger gleiche Erfahrungen wie die Mehrheit der Geflüchteten gemacht. Es gibt einen Spruch auf Deutsch: „Einmal Jude, immer Jude“. Das gilt genauso für Flüchtlinge: einmal Flüchtling, immer Geflüchtete*r.
Das nächste Problem der ethnografischen Feldforschung und des Praktikums ist, dass wie bei jeder anderen ethnologischen und ethnografischen Arbeit in vielen Punkten individuelle Eigenschaften nicht berücksichtigt werden. Für mich als Person mit Flüchtlingshintergrund, die in unterschiedlichen Ländern im Exil gelebt hat und aus einer Region mit hohem politischen Bewusstsein kommt, in der in jeder Familie unterschiedliche Personen mit verschiedenen Weltanschauungen leben, die teilweise aktiv gegeneinander kämpfen, ist es unmöglich zu akzeptieren, dass eine „ethnografische“ Feldforschung oder ein „ethnografisches“ Praktikum auf eine bestimmte Ethnie übertragen wird. Ich habe seit Jahren Kontakt zu einer Familie aus dem Iran, die gerade in Deutschland und teilweise in Heidelberg leben, in der die Mitglieder der Familie in fünf unterschiedlichen politischen Parteien aktiv sind. Die Mutter ist Muslimin, der Vater war Kommunist, bis zu seinem Tod aktiv in den Gewerkschaften und Anhänger von Komala[1], der größere Bruder ist Mitglied der „Iranischen Arbeiter-kommunistischen Partei[2]“, die zwei Schwestern sind Mitglieder der „Hekmatist“[3] (Arbeiterkommunistische Partei Irans), ein anderer Bruder ist mit der YPG[4] in Rojava[5] verbunden. Die anderen Teile der Familie sind mit anderen Parteien verbunden. Dieses Beispiel zeigt, dass eine richtige ethnografische Untersuchung nie ganz auf einen Teil der Gesellschaft oder eine bestimmte „Ethnie“, Bevölkerungsgruppe und sogar eine Gruppe oder politische Partei mit gleichem Ziel übertragen werden kann. Insofern müssen wir als Menschen, die Feldforschung und das Praktikum betreiben, die Komplexität der Gesellschaft, des Menschen, der Gruppen, „Ethnien“ und „Nationen“ berücksichtigen, damit wir keine falschen Informationen an andere Menschen weitergeben.
Bei meinem Praktikum sowohl bei der ehrenamtlichen Arbeit als auch bei der Arbeit als Übersetzer und Deutschlehrer der Geflüchteten habe ich Menschen getroffen, die absolut launisch waren und nach ihren Gefühlen argumentiert haben. Beispielsweise kenne ich Geflüchtete, die morgens konservativ und religiös waren und am Abend nach zwei, drei Bier revolutionär argumentiert haben. Für mich als eine Person mit klarer Weltanschauung ist es sehr schwer, diese Menschen einzuordnen. Die Ursache solcher Probleme sollten wir in der Widersprüchlichkeit und der Komplexität der Gesellschaft betrachten und die Menschen als Produkt ihrer Umwelt nicht verurteilen. In „modernen“ Gesellschaften wie in Deutschland sehen wir täglich diese Widersprüche. Manche Menschen gehen am Sonntag in die Kirche und besuchen am Tag darauf ein Bordell.
3. Überwachung als ein Mittel zur Verhinderung der Selbstpolitisierung der Geflüchteten
Innerhalb des PHV gibt es sowohl staatliche Ausgrenzung und strukturellen Rassismus, die vom BAMF, vom Regierungspräsidium, der Polizei, dem Office 1 (Essensverteilung), und dem Office 2 (Kleidungs- und Geldverteilung) auf Flüchtlinge ausgeübt werden als auch systematische Machtausübung des Sicherheitspersonals, die die Geflüchteten durch tägliche Papier- und Ausweiskontrollen unter Druck setzen und Kontroversen auf dem Gelände produzieren und reproduzieren. Die Formen der Unterdrückung sind sehr unterschiedlich und haben unterschiedliche Auswirkungen. Beim BAMF und dem Regierungspräsidium ist die Unterdrückung eher psychischer Natur, aber es wird oft körperliche Gewalt von der Security ausgeübt. Die Polizei dort kann wegen ihrer Position als staatstreue Organisation und der Monopolisierung der Gewalt jeder Zeit Flüchtlinge festnehmen und gegen sie Gewalt anwenden. Das Regierungspräsidium und das BAMF sind für die Dublin-Fälle und die deutschlandweite Bearbeitung der Asylverfahren zuständig. Wenn die Flüchtlinge abgelehnt und abgeschoben werden sollen, werden sie zuerst von der Polizei eingesperrt und danach zum Flughafen gebracht. Andere Formen der Unterdrückung wurden von Office 1 und 2 ausgeübt, z.B. als die Geflüchteten drei Tage lang kein Essen bekommen haben. Wenn Geflüchtete ihre BüMA (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchende, auf der alle Informationen stehen) nicht stempeln lassen, wird automatsch ihr Asylverfahren gestoppt. Deswegen haben die Geflüchteten Angst, am Wochenende das PHV zu verlassen und über Nacht jemanden in der Stadt zu besuchen. Die Security, die auf dem Gelände Tag und Nacht die Menschen überwacht und ohne Grund die privaten Räume der Geflüchteten betritt oder vor der Eingangstür Tag und Nacht jeden Eintritt und Austritt im System aufnimmt, nehmen Geflüchteten jede Möglichkeit Kontakt zu Heidelberger*innen aufzunehmen und versuchen, die Beziehung der Geflüchteten zu anderen Menschen zu kontrollieren und sie wie verdächtige kriminelle Menschen zu behandeln. Aus diesen Gründen existiert großes Misstrauen. Die Menschen, die ihre Asylverfahren im PHV durchlaufen, müssen zwischen zwei Wochen und sechs Monaten dortbleiben und manchmal leben zwei bis sechs Personen in einem Zimmer. Sie haben keine Möglichkeit zu kochen und es gibt meistens keinen Kühlschrank. Sie bekommen oft kaltes, ungenießbares Essen, das kaum variiert, weshalb viele der Geflüchteten dieses Essen nicht zu sich nehmen können. Aber das Taschengeld, das sie bekommen ist mit 112 Euro im Monat pro Person so gering, dass sie nichts damit anfangen können. Manchmal bekommen Geflüchtete monatelang aus unterschiedlichen Gründen kein Taschengeld und müssen in purer Armut leben. Ich habe persönlich hunderte Geflüchtete getroffen, die monatelang ohne Grund kein Taschengeld bekommen hatten. Wenn sie regelmäßig Zigaretten rauchen, wird ihre Lage schwierig. Ich habe eine Familie aus dem Nordirak mit zwei Kindern mit Behinderung neun Monate lang begleitet. Sie erhielten oft aus unerfindlichen Gründen kein Taschengeld und trotz eines langen Kampfes erst nach neun Monaten einen Transfer. Wenn ich sie persönlich jeden Freitag vor der Tür von unserer Organisation traf, war ich psychisch belastet, weil ich ihre grausame Situation nicht sehen wollte. Diese strukturelle Unterdrückung produziert bei einigen Geflüchteten Hass und Wut gegenüber staatlichen Organisationen, die im PHV Macht haben. Auf der einen Seite sind die Mehrheit der Geflüchteten normale Bürger*innen ohne politische Bildung und politischen Hintergrund, auf der anderen Seite werden sie teilweise im PHV politisiert, weil sie sich zum einen als Individuum und zum anderen als eine Gruppe von Menschen mit bestimmten konstruierten Merkmalen wie „Nationalität“ „Ethnie“ usw. angegriffen fühlen und kollektiv und pauschal als Flüchtlinge behandelt und ausgegrenzt werden. Sie entwickeln dadurch politisches Bewusstsein gegen Unterdrückung und manchmal beschimpfen die Geflüchteten die Formen der Unterdrückung und versuchen ihre Aggression und Hass auf eine unpolitische Art auszudrücken. Ein Geflüchteter aus Syrien hat beispielsweise oft die „unabhängige Organisation“, in der ich arbeite, besucht. Als er sah, dass die Organisation keine Macht hat, seine Probleme zu lösen, fing er an Diakonie und Caritas zu beschimpfen, weil sie diese Organisation finanziell unterstützen und sagte, dass diese Organisation eine Organisation wie jede andere sei, ihre Macht auf Flüchtlinge ausüben wolle und nichts mit der Unterstützung von Menschenrechten und Geflüchteten zu tun habe. Er behauptete, wir würden die ganze Zeit lügen und Geflüchteten nur Hoffnung geben, damit sie diese unmenschliche Unterdrückung akzeptieren usw. Im folgenden Kapitel schreibe ich darüber ausführlich.
4. Repressive Hilfe gegen die Selbstpolitisierung der Geflüchteten
Repressive Hilfe ist eine paternalistische Form der Hilfe. Den Menschen wird in einer Situation gezielt geholfen, damit bestimmte Organisationen ihre Macht akkumulieren können. Hilfe ist in diesen Fällen fragwürdig und heuchlerisch. Die Hilfe ist nicht das Ziel, sondern die Hilfe wird angeboten, um andere Ziele erreichen zu können. Deshalb sage ich, dass diese Art der Hilfe keine Menschenrechte schützt, sondern mit Menschenrechten Geschäfte macht. Staatliche Organisationen wie das Sozialamt, die NGOs wie Amnesty International, die UN, Diakonie, Caritas usw. helfen den Menschen, um Kapitalakkumulation und Ausbeutung zu reproduzieren und zu legitimieren. Im PHV funktioniert repressive Hilfe sehr stark. Diakonie, Caritas und das Deutsche Rote Kreuz sind die Organisationen, die dort durch ihre Arbeit gewissermaßen repressive Hilfe anbieten und sich gleichzeitig als unabhängig von Staat und Menschenrechtsorganisationen darstellen. Diese Organisationen wollen ihre Existenz innerhalb des kapitalistischen Staates schützen und zwischen Armut und Akkumulation von Kapital leben. Wie ich am Anfang der Arbeit beschrieben habe, existieren diese Organisationen aus unterschiedlichen Gründen: 1. weil Armut existiert, 2. weil Staaten nicht ihre Aufgaben ausführen, wie sie es sollten und 3. weil die Kirchen und religiösen Verbände ihre Hegemonie innerhalb des kapitalistischen Systems und der demokratischen Strukturen suchen und aus der Ungleichheit in der Gesellschaft Kapital akkumulieren können. Diese Organisationen sind nicht direkt abhängig vom Staat, aber sie schützen das Interesse des Staates und des Kapitals. Als Arbeitnehmer*in bei der Diakonie und Caritas darf man sich nicht politisch gegen Staat und Kapitalismus engagieren und muss die Autorität des Staates in Deutschland und das Interesse des Kapitalismus schützen oder zumindest nicht in Frage stellen, neutral bleiben. Die Arbeitnehmer*innen bei diesen Organisationen müssen unterschreiben, dass sie nicht aktiv gegen das Interesse des deutschen Staates kämpfen. Man muss aber bestimmte individuelle Personen mit emanzipatorischen Positionen, die sich für die Emanzipation der Gesellschaft und Unterdrückten engagieren, von Institutionen unterscheiden und diese Menschen unterstützen. Durch die Monopolisierung der Sozialarbeit durch die Kirche aber sind diejenigen, die menschliche Arbeit leisten wollen, ebenfalls stark von diesen Instituten geprägt. Aus Mangel an „nichtabhängigen“ NGOs in Deutschland sind linke radikale Menschen gezwungen, mit kirchlichen Organisationen und NGOs zusammen zu arbeiten und die Arbeitnehmer*innen mit einer kritischen Perspektive müssen entweder die Autorität der Organisation schriftlich akzeptieren oder werden entlassen, wenn sie aktiv etwas gegen staatliche Repression unternehmen wollen. Die Neoliberalisierung der Arbeit bei diesen Organisationen und die Repression von oben gegen Arbeitnehmer*innen durch Lohndruck zeigt, dass diese Organisationen die Rechte ihrer Arbeitnehmer*innen nicht schützen wollen oder können. Insofern kann ich sagen, dass die repressive Hilfe von NGOs und Menschenrechtsorganisationen unterstützt wird. Sie dürfen und können nicht von den Menschenrechten sprechen, wenn sie die Menschenrechte ihrer Arbeitnehmer*innen tagtäglich bedrohen und verletzen. Die bürgerlichen Menschenrechtsorganisationen sind ein Geschäft und eine Industrie, die wir in unserer Gesellschaft erleben. Sie werden von den großen Mächtigen wie Staaten, Firmen, Banken unterstützt, damit diese ihre Macht legitimieren können. Weil sie Geld bekommen, sollen sie loyal bleiben und Treue erwidern.
5. Die Selbstpolitisierung der Geflüchteten und deren Kampf mit antifaschistischen Initiativen in Heidelberg
Die meisten Geflüchteten leiden unter schweren Depressionen. Sie kommen nach Deutschland, um in „Sicherheit“ ein neues Leben zu beginnen, aber es ist für sie unglaublich schwer, sich zu politisieren. Sie verlieren ihr soziales Netzwerk, wenn sie als Flüchtlinge hier sind und die Schwierigkeiten, die ich in Laufe dieser Arbeit erwähnte, zeigen, dass die Geflüchteten monatelang in einer starken Isolation bleiben müssen. Diese Isolation und die Schwierigkeiten auf der Flucht verschärfen die Depression der Geflüchteten. In diesem Zusammengang kann man sagen, dass die Politisierung der Geflüchteten durch diese Probleme sehr schwierig ist. Wir leben in einer Zeit, in der die Gesellschaft immer nach rechts blickt und überall von Alternativlosigkeit gesprochen wird, in einer Gesellschaft, in der durch die Neoliberalisierung der Marktwirtschaft auch die Politik stark neoliberalisiert wurde und linke Gruppierungen ebenfalls immer mehr nach rechts blicken. Die Kirchen, die religiösen Verbände, die unpolitischen NGOs etc. versuchen, die Politisierung der Geflüchteten zu vermeiden. Die meiste emanzipatorische Arbeit von Aktivist*innen wird von linken Gruppen ausgeführt, die antirassistisch und antifaschistisch sind. Das Vertrauen der Geflüchteten zu gewinnen ist nicht einfach, besonders wenn es keine gemeinsame Sprache gibt und wenn die Flüchtlinge täglich von christlichen Missionaren angesprochen werden. Wenn man als deutsche*r linke*r Aktivist*in unter Geflüchteten Vertrauen gewinnen oder sie zur politischer Arbeit motivieren will, dauert dies lange, weil die Geflüchteten einen manchmal mit Missionaren oder staatlichen rechten Organisationen verwechseln. In dieser Situation ist die Rolle der Aktivist*innen mit Flüchtlingshintergrund sehr wichtig. Ich schreibe von meinen politischen Erfahrungen, die ich mit Geflüchteten machte. Ich habe in den letzten zwei Jahren, seitdem ich im PHV als Übersetzer arbeite, hunderte von Menschen erreicht, mit denen ich auf ihrer Sprache sprechen konnte und kann. Ich habe für die Geflüchteten mit Hilfe anderer aktiver Menschen aus der Region (Lehrkräfte und Studierenden der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und der Universität Heidelberg) bei American Junior Year in der Hauptstraße 133 mit der Hilfe von Prof. Dr. Hanne Heckmann, die uns Räumlichkeiten und Hilfe angeboten hat, Deutschkurse organisieret und ein Jahr lang zweimal pro Woche Deutsch unterrichtet.
Ich habe im Sommer 2016 als Übersetzer und Lehrkraft für drei Tage in einem Dorf (Hettigenbeuern) im Landkreis Buchen im Odenwald mit Geflüchteten ehrenamtlich gearbeitet und ein Projekt unterstützt, das von einem Verwandten Prof. Hanne Heckmanns für die „Integration“ der Geflüchteten angeboten wurde. Er hat sein Hotel in diesem Dorf für zu Verfügung gestellt, damit die Geflüchteten schneller die Sprache lernen und sich in Deutschland und die deutsche Gesellschaft integrieren.
In dem wöchentlichen Deutschkurs des American Junior Year habe ich neben dem Sprachunterricht versucht, die Geflüchteten, die ich im PHV kennengelernt habe, mittwochs abends nach dem Kurs zu unseren politischen Sitzungen mitzunehmen. Es waren manchmal bis zu 70 Geflüchtete dabei, die sich engagiert haben und versuchten, sich zu informieren, um ihre Rechte besser zu kennen und einzufordern. Die Space Initiative Heidelberg ist eine politische Organisation, die für eine politische Auseinandersetzung mit den Rechten Geflüchteter von linken aktiven Geflüchteten und Nichtgeflüchteten gegründet worden ist. Als im Sommer 2015 die Bürger*innen des Stadtteiles Kirchheim in Heidelberg sich rassistisch gegen Geflüchtete (RNZ 2015), die in der Nähe des Friedhofs gelaufen sind, geäußert hatten und dies in den regionalen Zeitungen und der deutschen Presse zum Thema wurde, hat die Initiative in Heidelberg, die auf der Seite der Flüchtlinge stand, eine Veranstaltung „Flucht im Fokus, warum Menschen fliehen?“ organisiert, die ich als Übersetzer mitgestaltet habe. Ich habe für Geflüchtete, die von Rassismus, Hass und Aggression der Bürger*innen betroffen waren, übersetzt (Arbeitskreis Fluchtursachen 2015; Studierendenparlament PH Heidelberg 2015). Nach dieser Veranstaltung überlegten die Initiator*innen, Space-Heidelberg[6] zu gründen. Am 23. April 2016 organisierte die Space Initiative Heidelberg ihre erste Veranstaltung (ein Workshop für Geflüchtete: “Ausgesetzt in Deutschland. Herausforderungen und Möglichkeiten innerhalb des Gesetzes”), zu der ich viele Flüchtlinge aus dem PHV eingeladen und für sie übersetzt habe. Nach diesem Workshop habe ich mich dieser neugegründeten Gruppe angeschlossen und war bis zum 09.08.17 Mitglied. Ab diesem Datum bin ich aus politischen Gründen ausgetreten (Maarfi Poor 2017b).
Wir haben innerhalb eines Jahres unterschiedliche Workshops, Veranstaltungen, Demonstrationen organisiert und versucht, die Lage der Geflüchteten zu zeigen und den Bürger*innen mitzuteilen, dass Flucht kein Verbrechen ist, sondern dass die Ursachen, die zur Flucht führen, bekämpft werden müssen. Wir haben die größte Demonstration in Heidelberg am 01.10.2016 (Antira-Netzwerk Baden-Württemberg gegen das Registrierungszentrum PHV und die Ausgrenzung von Geflüchteten in Heidelberg gemeinsam mit dem Antirassistischen Netzwerk Baden-Württemberg organisiert und 800 Menschen auf die Straße gebracht. Außerdem haben wir viele andere politische Veranstaltungen, Filmabende usw. organisiert. Bei diesen Veranstaltungen (Space Initiative Heidelberg 2017c) kamen viele Geflüchtete zu Wort und kämpften aktiv für ihre Rechte. Wir organisierten mit Geflüchteten beim traditionellem antifaschistischen Straßenfest (AIHD 2017) am 30.04.2017 einen Infostand und sprachen uns aus der Perspektive der Geflüchteten für die Aufhebung jeder Art von Unterdrückung, Ausgrenzung und Rassismus aus (Maarfi Poor 2017a). Wir mobilisierten die Geflüchteten für unterschiedliche Aktionen außerhalb Heidelbergs, z.B. vom 06. bis 10. August 2016 in Bamberg (Space Initiative Heidelberg 2016a) für einen Protest gegen Abschiebungen der Roma und eine Woche später fuhren wir mit einer großen Gruppe von Heidelberg nach Frankfurt (Space Initiative Heidelberg 2016b), um mit der Gruppe „Refugees 4 change“ für gleiche Rechte aller Geflüchteten zu kämpfen. In Mannheim (Space Initiative Heidelberg 2017a) am 25.02.17 demonstrierten wir mit dem Bündnis gegen Abschiebung und zeigten, dass wir die Abschiebemaschinerie nicht akzeptieren werden. Wir haben neben der politischen Arbeit mit Geflüchteten viele andere interessante Projekte unterstützt, z.B. den Antifaschistischen Fußballcup (Albert-Fritz-Gedächtniscup am 08.10.2016), der von der DGB- Hochschulgruppe Heidelberg organisiert wurde (Space Initiative Heidelberg 2016c). In dieser Gruppe arbeite ich parallel. Es war eine ganz andere Form der Arbeit, über die Geflüchtete mehr Zugang zu anderen antifaschistischen Gruppen aus Heidelberg und Mannheim erhielten. Trotz aller Schwierigkeiten wie Geldproblemen und anderen Problemen, die erwähnt wurden, kann ich sagen, dass die Politisierung der Geflüchteten nicht unmöglich ist und Flüchtlinge ebenfalls Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen sind. Die Geflüchteten, die eine radikalere Perspektive haben, sich von Herrschaft befreien wollen und in ihrer „Heimat“ auch politisiert waren, können schneller Zugang zur politischen Arbeit finden und diejenigen, die weniger politisiert sind, kann man schwieriger erreichen, motivieren und organisieren. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass konservative religiöse Geflüchtete, anstatt sich mit der linken antifaschistischeren Politik zu beschäftigen, konservative Menschen aus dem „Heimatland“ oder religiöse Verbände und Moscheen suchen. Sie unterstützen die konservative Politik direkt oder indirekt. Damit unterstützen sie eine Politik, die gegen sie als Ausländer*innen und Flüchtlinge arbeitet und reproduzieren mit ihrer Position oder Gleichgültigkeit mehr Unterdrückung und Isolation und Gettoisierung der Geflüchteten.
Was ich noch erwähnen will ist die Tradition des Widerstandes der Geflüchteten sowohl in Deutschland als auch weltweit. Jahrelang gab es unorganisierte „Kämpfe“ der Geflüchteten in Form von Hungerstreiks, Selbstmorden, Zunähen des Mundes oder der Augen. Aber ab 2012 gab es große politische Widerstände von Geflüchteten besonders in München und Berlin. Geflüchtete fingen an sich zu organisieren und monatelange fanden Proteste statt (unter anderem ein „trockener Hungerstreik“) (Zeit Online 2013), die von ihnen in der Stadtmitte von München, Berlin und andernorts organisiert wurden. Einzelne Proteste wurden schließlich durch Polizeigewalt aufgelöst. Die Flüchtlinge entwickelten aus diesen Protesten ein anderes politisches Bewusstsein und gründeten teilweise politische Organisationen (Daily Resistance 2017), die bis heute existieren und weiter für die Rechte der Geflüchteten kämpfen. In Heidelberg haben wir in den letzten Jahren versucht, alle Kräfte von Geflüchteten und Nichtgeflüchteten zusammenzubringen, um selbstzerstörerische Formen des Widerstands wie zum Beispiel Hungerstreik, Selbstmord usw. zu beseitigen und durch politische Organisationen die Rechte der Geflüchteten mit Protesten und Demonstrationen zu erkämpfen. Unsere letzte Demonstration fand am 27.05.2017 unter dem Motto „Freiheit und gleiche Rechte für Geflüchtete und alle Unterdrückten“ (Beobachter News 2017) statt.
6. Fazit
6.1. Kurze persönliche Anmerkung
Es ist für mich sehr schwierig über die Themen zu schreiben, die mich emotional belasten, weshalb ich oft die Beendung meines Berichts unterbrochen habe. Wenn ich über Kleinigkeiten und meine persönlichen Erfahrungen als Geflüchteter und mit Geflüchteten schreiben, muss ich ein Buch schreiben. Ich habe während meines Studiums bereits unterschiedliche Arbeiten sowohl in der Soziologie als auch in der Ethnologie geschrieben und habe eine Vielzahl an Aktivitäten mit Geflüchteten organisiert und mich zur Unterstützung ihrer Rechte eingesetzt. Ich bin einer von wenigen Aktivisten für Geflüchtete, die ihr privates Leben für die Emanzipation der Unterdrückten und besonders Geflüchteter opferte und opfern kann. Ich bin Tag und Nacht für alle Geflüchteten, die Hilfe, Übersetzung, Schlafplatzt etc. brauchen erreichbar ohne gleiches von ihnen zu erwarten. Bei mir Zuhause sind oft Aktivist*innen, die das Leben im Flüchtlingscamp nicht aushalten können. Es gab Fälle, in denen Geflüchteten mich um zwei Uhr oder auch vier Uhr morgens angerufen haben und Hilfe bekommen haben. Ich bin keine Person, die einfach einen Praktikumsbericht über Flüchtlinge schreibt. Ich war wie bereits gesagt selbst in der gleichen Situation und erlebte mit meinem Blut und Knochen diese Ungleichheit, Ausgrenzung, Marginalisierung, repressive Hilfe, Mission in der Unterkunft durch die christlichen Kirchen, Unterdrückung, Probleme bei der Wohnungssuche und viele andere Formen der Unterdrückung und der Objektivierung, der Erniedrigung etc. Ich bin auch keine Person, die den „postkolonialen Ansatz“ vertritt. um als in die Schuhe des „weißen Mannes“ zu schieben. Kolonialismus war eine vorkapitalistische Ideologie, die sich im Kapitalismus reproduziert hat und sich dem modernen Kapitalismus angepasst hat. Meine Kritik an Kapitalismus kann daher keine emotionale und moralische Kritik sein. Ich kritisiere den Kapitalismus als eine strukturelle, systematische Form der Ausbeutung, Ungleichheit und Unterdrückung weltweit. Deshalb versuche ich trotz starker Emotionen und Aggressionen gegen das System eine dauerhaft vernünftige Art des Widerstandes zu leisten, der die Menschheit und Unterdrückten emanzipieren kann, damit meine Arbeit, mein politisches Interesse nicht ausgenutzt werden.
6.2. Allgemeines Fazit
Eine solche Arbeit in kurzen Worten zusammenzufassen ist sehr schwierig, aber ich versuche es so gut wie möglich. Erstens ist es, wie ich oft erwähnte, sehr schwierig, von ethnografischer Feldforschung zu sprechen, wenn ich mit mehr als 30 „Nationalitäten“ in einer Unterkunft zu tun habe. Zweitens konnte ich keine für „ethnografische“ Feldforschung passende Unterkunft finden, da Menschen immer in unterschiedlichen Umwelten und Gesellschaften sozialisiert wurden. Deswegen kann man diese Forschung nicht als „ethnografisch“ bezeichnen, sondern eher als Forschung über eine vielfältige Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Kontroversen und partiellen Gemeinsamkeiten. Drittens muss man den sozialen und politischen Hintergrund innerhalb einer Gruppe, die zur gleichen „Ethnie“, „Nationalität“ oder Bevölkerungsgruppe mit gleicher Sprache gehört, in der „ethnografischen“ Forschung berücksichtigen und darf die Menschen aus der gleichen Region nicht mit der gleichen Sprache oder „Nationalität“ pauschalisieren. Individuelle Merkmale von individuellen Menschen müssen berücksichtigt und in der Forschung erwähnt werden. Die Gesellschaft ist sehr komplex und die Beziehungen zwischen den Menschen sind genauso komplex, weil sie von der Gesellschaft beeinflusst werden. Viertens kann man die Lage der Menschen innerhalb des PHV als eine große Unterkunft nicht unabhängig von Repression und den herrschenden Verhältnissen betrachten, sondern muss die Forschung als eine Untersuchung betrachten, die alle Verhältnisse vor Ort beobachten und kritisch damit umgehen sollte. Fünftens darf man die Rechte und Interessen der Geflüchteten nicht verletzen und als Forscher vor Ort nie gegen ihr Interesse arbeiten. Aber ich muss gleichzeitig sagen, dass ich als eine Person mit einem marxistischen, kritischen Hintergrund und starken Emotionen gegenüber Repression vonseiten des Staates gegen Flüchtlinge, gegenüber Rassismus, Sexismus von Beamten und Security und auch Geflüchteten nicht gleichgültig bleiben kann. Deswegen habe ich diese Verhältnisse oft auf radikale Weise auf beiden Seiten abgelehnt. Sechstens muss ich sagen, dass eines der größten Probleme, das immer wieder auftaucht, das Problem der Übersetzung und Vermittlung der Informationen durch die Übersetzer*innen auf der einen Seite ist und auf der anderen Seite die Aussagen, die man gar nicht übersetzen kann. Ein Beispiel ist, wenn ein Flüchtling sich bei uns beraten lässt und sexistische Ausdrücke benutzt, die nicht ganz aus sexistischen Gründen, sondern aus Ärger über die Verhältnisse und auch teilweise kulturellen Gründen benutzt werden. Wie kann ich so etwas explizit von Wort zu Wort übersetzen? Ich habe viele Fälle erlebt, bei denen die Geflüchteten Angela Merkel beschimpft haben und wörtlich gesagt haben, sie würden Merkel f****, die Polizei f**** und Hitler als Held darstellen. In solchen Situationen konnte ich entweder gar nicht übersetzen oder musste die Übersetzung ändern. Siebtens behaupte ich, dass die strukturelle Ausgrenzung Geflüchteter und ihre systematische Unterdrückung durch den Staat und andere Behörden den Geflüchteten nicht hilft, sondern sie mehr ausgrenzt. Aus diesem Grund wird Hass und Aggression unter Geflüchteten gegenüber dem Staat und anderen Geflüchteten produziert und reproduziert. Der Staat hat in Deutschland die Möglichkeit für alle Geflüchteten normale Wohnungen zu organisieren, aber der Staatapparat verwirklicht das nicht aus Angst, dass mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden, wenn die Lage der Geflüchteten hier verbessert wird. Flüchtlinge müssen monate- und manchmal jahrelang warten, damit sie ihre Erfahrungen mit anderen teilen und nicht mehr Menschen nach Deutschland kommen. Die Gelder, die vom Staat zur Ausgrenzung der Geflüchteten an andere Staaten wie die Türkei, Bulgarien und andere europäische Länder geschickt werden, oder das Geld, das für die Kontrolle der Asylunterkünfte bezahlt wird, damit Geflüchteten der Weg blockiert wird, ist ausreichend für den Wohnungsbau für Millionen von Menschen und Geflüchteten. Insofern kann ich sagen, dass ich die Aussagen von Politiker*innen in Deutschland über Menschenrechte für falsch halte und kann sagen, dass sie keine Menschenrechte schützen, sondern sie in der Praxis systematisch durch ihre Gesetze und ihre Politik zerstören. Eine Politik, die täglich Menschen im Mittelmeer ertrinken und in der Sahara verdursten lässt, ist menschenverachtend, rassistisch und verbrecherisch. Deshalb müssen die Geflüchteten sich politisieren und als Geflüchtete gegen diese menschenfeindlichen Gesetze kämpfen und die Gesetze, die ihnen ihre Rechte nehmen, brechen. Sie sollten für eine Gesellschaft kämpfen, in der niemand ausgegrenzt, ausgebeutet und rassistisch behandelt wird. Sie müssen die Grenzen überwinden, die Menschen voneinander trennen, sie müssen gegen eine Politik kämpfen, die heuchlerisch ist und im Namen der Menschenrechte das Recht der Menschen auf Gleichheit, Freiheit und globale Bewegungsfreiheit bekämpft. Außerdem müssen sie vorgehen gegen die Ausbeutung, den Imperialismus, die Kriege und „Steuerflüchtlinge“ die auf der Suche nach billigen Arbeitskräften alle Grenzen überwinden und Kinder in Asien, Afrika, Südamerika ausbeuten und verhungern lassen, um mehr Kapital akkumulieren zu können. Die Emanzipation der Geflüchteten ist die Emanzipation vom Flüchtlingsein. Wenn die Geflüchteten sich emanzipieren wollen, müssen sie sich mit den Unterdrückten in Deutschland zusammenschließen und gemeinsam für die Überwindung des Systems und die Aufhebung privater Anteile an Produktionsmitteln kämpfen. Deutschlandweit müssen sie von der Arbeitern*innenklasse als schwächerer Teil der internationalen Arbeiter*innenklasse betrachtet, unterstützt und begleitet werden, anstatt als Konkurrenz betrachtet und gehasst zu werden. Letzteres wünschen sich rechte Parteien und der Staat. Der kapitalistische Staat in Deutschland lenkt immer mehr nach rechts und die staatliche und bürgerliche Presse hat sehr großen Einfluss auf die „Volkspsychologie“ der Bürger*innen aus unterschiedlichen Klassen. Versucht wird, die Geflüchteten als Feinde der deutschen Arbeiter*innenklasse darzustellen, die Schuld an der Senkung der Löhne tragen, die Arbeitsplätze wegnehmen oder auf Kosten der Bürger*innen leben. Die Geflüchteten leben in dieser Situation in einem sogenannten „Teufelskreis“ (Maarfi Poor 2015). Wenn sie arbeiten wollen, nehmen sie Arbeitsplätze weg, wenn sie arbeitslos bleiben, lassen sie sich von Deutschen finanzieren, aber dass vom deutschen Staat Milliarden von Euro in Krieg und Zerstörung investiert werden, ist aus der Sicht der meisten „Bürger*innen“ völlig egal.
Wenn ich meine Arbeit zusammenfassen will, kann ich sagen, dass die Emanzipation der Menschen die Emanzipation von Identitäten sein muss, die als Konstrukte immer wieder innerhalb der klassischen Gesellschaft produziert und reproduziert werden. Deshalb muss dieses System endlich durch eine revolutionäre Bewegung von unten gegen die Herrschenden zerschlagen und ein neues System daraus entwickelt werden: Ein System, das sowohl in der Theorie als auch in der Praxis Gleichheit, Freiheit und Menschlichkeit unterstützt und verwirklicht. Wie gesagt kann dieses System nicht kapitalistisch sein und wird sowohl Geflüchtete als auch alle andere Unterdrückten emanzipieren.
7. Quellenverzeichnis
AIHD (Antifaschistische Initiative Heidelberg) (2017): Antifaschistisches Straßenfest Heidelberg. Verfügbar am 29.08.2017 https://www.facebook.com/events/1813581245589769
Antira-Netzwerk Baden-Württemberg (2016): ‚Gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung‘. Verfügbar am 29.08.2017: http://www.aktionbleiberecht.de/?p=9777
Arbeitskreis Fluchtursachen (2015): Flucht im Fokus – Warum fliehen Menschen? Verfügbar am 29. 08.2017: https://www.facebook.com/events/788949647878234/?acontext=%7B%22ref%22%3A%223%22%2C%22ref_newsfeed_story_type%22%3A%22regular%22%2C%22action_history%22%3A%22null%22%7D
Beobachter News (2017): Kein Mensch kann illegal sein. Space-Demonstration in Heidelberg für Freiheit und gleiche Rechte Geflüchteter. Verfügbar am 30.08.2017: http://www.beobachternews.de/2017/05/30/kein-mensch-kann-illegal-sein/
Daily Resistance (2017), verfügbar am 30.08.2017: https://dailyresistance.oplatz.net/
IPFS (2017), aufrufbar am 16.08.2017: https://ipfs.io/ipfs/QmXoypizjW3WknFiJnKLwHCnL72vedxjQkDDP1mXWo6uco/wiki/Komalah_(CPI).html
Maarfi Poor, Hassan (2015). Die Integration der Flüchtlinge in Deutschland. Verfügbar am 14.09.2017: https://hassan-maarfipour.com/die-integration-der-fluechtlinge-in-deutschland/
Maarfi Poor, Hassan (2017a): Ein Teil vom Hassan Maarfipour Beitrags beimantifaschistischen Straßenfest. 29.08.2017 https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1541554192552924&id=802409089800775
Maarfi Poor, Hassan (2017b): Austritt aus Space Initiative. Verfügbar am 29.08.2017: https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1670386046336404&id=802409089800775
RNZ (Rhein-Neckar-Zeitung) (2015): Flüchtlinge in PHV und Heidelberg-Kirchheim: „Die Beschwerden gehen gegen Null“. Verfügbar am 29.08.2017: https://www.rnz.de/nachrichten/heidelberg_artikel,-Heidelberg-Fluechtlinge-in-PHV-und-Heidelberg-Kirchheim-Die-Beschwerden-gehen-gegen-Null-_arid,158484.html
Space Initiative Heidelberg (2016a): Protest camp Bamberg 04.-07.08.2016. Verfügbar am 29.08.2017 https://www.facebook.com/spaceheidelberg/photos/a.612926158888447.1073741831.564570490390681/612926528888410/?type=3&theater
Space Initiative Heidelberg (2016b): Demonstration 13.08.2016 – Für Bildung und das Recht zu bleiben. Verfügbar am 29.08.2017: https://www.facebook.com/spaceheidelberg/photos/a.616232211891175.1073741832.564570490390681/616234175224312/?type=3&theater
Space Initiative Heidelberg (2016c): Albert-Fritz-Gedächtniscup 08.10.2016. Verfügbar am 29.08.2017: https://www.facebook.com/pg/spaceheidelberg/photos/?tab=album&album_id=642192842628445
Space Initiative Heidelberg (2017a): Kundgebung „Keine Abschiebungen – Bleiberecht für alle!“ Verfügbar am 29.08.2017: https://www.facebook.com/spaceheidelberg/photos/a.715232681991127.1073741839.564570490390681/715243411990054/?type=3&theater
Space Initiative Heidelberg (2017b), verfügbar am 29.08.2017: https://www.facebook.com/spaceheidelberg/
Space Initiative Heidelberg (2017c): Veranstaltungen. Verfügbar am 29.08.2017: https://www.facebook.com/pg/spaceheidelberg/events/?ref=page_internal
Studierendenparlament PH Heidelberg (2015): Flucht im Fokus – Warum fliehen Menschen? Verfügbar am 29. 08.2017: http://stupa.ph-heidelberg.net/?q=node/182
The Kurdish Project (2017), aufrufbar am 16.08.2017: http://thekurdishproject.org/history-and-culture/kurdish-democracy/rojava-democracy/
Worker-communist Party Hekamtist (2017), aufrufbar am 16.08.2017: http://www.hekmatist.com/English/english-index.htm
WPI (2017), aufrufbar am 16.08.2017: http://wpiran.org/deutsch/
YPG (2017), aufrufbar am 16.08.2017: https://www.ypgrojava.org/english
Zeit Online (2013): Radikaler als die Polizei erlaubt. Münchner Flüchtlingsproteste. Verfügbar am 30.08.2017: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-06/muenchen-fluechtlinge-protest
[1]Komala ist die kommunistische Organisation des iranischen Kurdistan und ist ein Teil einer iranischen kommunistischen Partei, die im Nordirak (Kurdistan) in einem Lager lebt und bewaffnet ist (IPFS 2017).
[2]Die Arbeiterkommunistische Partei Irans hat sich 1991 von der iranischen kommunistischen Partei abgespalten und ist europaweit aktiv (WPI 2017).
[3]Die Hekmatist hat sich 2004 von der Arbeiterkommunistischen Partei Iran abgespalten und hat sich nach „Mansoor Hekmat“, dem Vorstand der arbeiterkommunistischen Partei Irans, benannt. In der Hekmatist gab es 2013 weitere Aufspaltungen und es gibt zurzeit zwei Parteien, die sich als Hekmatist bezeichnen (Worker-communist Party Hekamtist 2017).
[4]YPG ist die bewaffnete Organisation der PYD (Demokratische Kräfte Syriens), die gegen den Islamischen Staat (Isis) kämpfen und der PKK nahesteht (YPG 2017).
[5]Rojava ist die kurdische Region in Nordsyrien, die seit dem Protest gegen Baschar-Al-Asad von 2011 und dem Bürgerkrieg danach von der PYD regiert wird (The Kurdish Project 2017).
[6] Die Space-Heidelberg ist eine linke antirassistische politische Gruppe aus Menschen mit oder ohne Fluchthintergrund, die für das Erreichen politischer Rechte der Geflüchteten in der Region auf politischer Ebene kämpft und versucht, Flüchtlingen Möglichkeiten zu geben, sich politisch zu engagieren und sich mit anderen Aktivist*innen zu vernetzen, damit sich die Politisierung der Geflüchteten, die Lage in der Gesellschaft für alle Unterdrückten, die von Rassismus und Ausgrenzung betroffen sind, verbessert. Space hat den politischen Diskurs über die Emanzipation der Geflüchteten als schwächsten Teil der Unterdrückten aufgegriffen und den Flüchtlingen Mut gegeben, selbst für ihre Rechte zu kämpfen und sich nicht von religiösen kirchlichen und sogenannten Menschenrechtsorganisation bevormunden zu lassen (Space Initiative Heidelberg 2017b).