In all seinen Schriften setzt Marx sich dialektisch materialistisch mit Gesellschaft, Philosophie und Ökonomie auseinander. Die meisten philosophischen Richtungen verstehen Marx Arbeiten nicht als philosophisch, obwohl oder vielleicht gerade weil Marx die abstrakte Philosophie insbesondere Hegels und Feuerbachs auf die gesellschaftlichen Verhältnisse angewandte. Damit machte er das Philosophieren zu einem praktischen, das von dem realen Leben der Menschen ausgeht. Gramsci nennt diese Art, Philosophie auf das gesellschaftliche Leben anzuwenden und vom gesellschaftlichen Leben und dem gesellschaftlichen Menschen ausgehend zu entwickeln, „Philosophie der Praxis“.
Marx gehört zu einem meist diskutieren Philosophen, der sehr kontrovers diskutiert und oft falsch interpretiert wurde. Erich Fromm kritisiert, dass die meisten Akademiker*innen, die von Marx reden und ihn auf oberflächliche Weise diskutieren oder ablehnen, nie im Leben Marx im Original gelesen haben. David Harvey spricht davon, dass das Marxsche Kapital als “Bibel” der Arbeiterklasse bezeichnet wird. Lenin war der Meinung, dass man die Logik von Hegel gelesen haben muss, um das Kapital verstehen zu können.
Im Lesekreis werden wir uns in der ersten Sitzung mit Marx Biographie und seiner historisch-materialistischen und dialektischen Herangehensweise an die Philosophie auseinandersetzen. Wir nähern uns damit den Besonderheiten seiner philosophischen Diskurse in der Wissenschaft, die durch eine übergreifende Analyse unterschiedliche Bereiche in der modernen Wissenschaft decken und gleichzeitig wegen des dialektischen Charakters der Texte immer noch für die Philosophie notwendig sind. Diese Auseinandersetzung bildet die Grundlage, auf der wir dann gemeinsam den ersten Band des Kapitals lesen und philosophisch wie politisch diskutieren. Wir werden also Marx mit Marx lesen, anstatt ihn ohne ihn gelesen zu haben zu verachten.
Marx begründet den „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, 1844). Marx Hauptwerk „Das Kapital“ ist das Projekt herauszufinden, wie genau diese Verhältnisse beschaffen sind: als Grundlage dafür, sie umzuwerfen. Auch wenn wir im letzten Jahr den 150. Jahrestag der Veröffentlichung des Kapitals feierten, ist es weiterhin unabdingbar, um aktuelle kapitalistische Verhältnisse und Strukturen zu verstehen. Es handelt sich um eine hochkomplexe und sehr tiefe Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Produktionsweise.
Was das Kapital von Marx anderen Schriften unterscheidet ist, dass es im Gegensatz zu bestimmten politischen Schriften keine aktivistische Sprache benutzt, sondern aus tiefen Beobachtungen und Analysen der kapitalistischen Gesellschaft und kapitalistischer Produktionsweise besteht. Das Kapital ist ein Mikroskop, mit dem man die bürgerliche Gesellschaft untersuchen und von der Warenzirkulation bis zur Theorie der Krise des Kapitalismus lesen kann. Aus diesem Grund wurde das Kapital ab 2008 wieder auf den Markt gebracht und dieses Mal von Kapitalisten gelesen.
Zeit: Dienstag, 14:15-15:45
Ort: Philosophisches Seminar, Raum 117